Sarah Schmidt: Wenn der Markt das so nicht mehr hergibt!

Darf man noch bei Karstadt klauen? Mit der Pleite des Kaufhauskonzerns stellt sich diese moralische Frage: Jedoch sie ist schon falsch gestellt, es muss heißen: Kann oder will man überhaupt noch bei Karstadt klauen? Nehmen wir einfach mal mich als Beispiel: Früher habe ich viel geklaut. Regelmäßssig traf sich eine Gruppe von fünf, sechs Mädchen, um die Schule zu schwänzen und stattdessen klauen zu gehen. Wir waren gut vorbereitet, trugen Baseballjacken mit großen Innentaschen und hatten riesige so genannte Matchsäcke über den Schultern. Mit diesen Säcken, in denen alles aufgehoben wurde, was Mädchen brauchen, also Zigaretten, Schminke, Stifte, Monatskarten, Tampons und Koffeintabletten, noch mehr Schminke, sowie diverse Ohrringe und Armreife, Ketten und Ringe, um auf jede Eventualität vorbereitet zu sein, zogen wir durch die Stadt.

Nach unseren Beutezügen waren die Säcke prall gefüllt mit neuen T-Shirts, Unterwäsche, Kassetten, und natürlich noch mehr Schminke, die wir dann an Mitschülerinnen verkauften. Karstadt und das KaDeWe waren immer unsere Lieblingsziele. Später dann verlegte ich mein Klautalent mehr auf Nahrung und Alkohol, manchmal auch auf überteuerte Spielsachen. Immer noch am liebsten bei Karstadt.

Illustration von CX Huth

Dann wurden die Sicherungen an den Konsumgütern immer perfider, die Detektive immer argusäugiger und ich immer vorsichtiger. Irgendwann hörte ich auf, bei Karstadt zu klauen. Gleichzeitig, und hier ist meine Erklärung für den Niedergang des Konzerns, hörte ich aber auch auf, bei Karstadt einzukaufen. Wo ich nichts klauen kann, da kauf ich auch nichts mehr. Und so denken sicher alle Karstadtdiebe. Warum soll man denen sein Geld in den Rachen schmeißen, wenn es nicht mal den kleinen gerechten Ausgleich für die überteuerten Waren gibt, den Bonus, den man sich selber gönnt? Gibt doch überhaupt keinen Grund mehr dorthin zu gehen, schon gar nicht das Warenangebot, denn das war noch nie wirklich besonders, das bekomme ich auch alles woanders, wo man noch weiß, wie Marktwirtschaft funktioniert. Nämlich so: Wo viel geklaut wird, da wird auch viel gekauft. Somit ist Karstadt doch mehr als selber schuld an ihrer Misere. Erst den tausenden von Dieben das Leben schwer machen und sich dann wundern, wenn niemand mehr kommt. Nee, ich habe kein Mitleid mit Karstadt, ich finde das gerecht. Und prophezeihe der Firma Woolworth einen großen Aufschwung in der nächsten Zeit. Denn, die wissen noch, was sich gehört.