Arbeitslose werden in rote Mäntel gesteckt, bekommen Watte vor den Mund und müssen in der Fußgängerzone: »Ho, ho, ho!« sagen. Aber nur in Amerika.
Hier nicht, wegen des menschlichen Antlitzes, das den hiesigen Kapitalismus ziert. Sie müssen nicht einmal fröhlich sein wie in Amerika. Wer in den USA nicht quietschvergnügt lächelt als Weihnachtsmann, wird vom Arbeitgeber gesteinigt, das steht so in der Verfassung. Deswegen können wir froh sein, dass wir die Gewerkschaften haben in Deutschland, deren vornehmstes Anliegen es ist, solche Steinigungen zu verhindern.
In Deutschland reicht es der Bundesregierung, wenn sich die Arbeitslosen in den warmen Luftschwall vor den Kaufhaustüren stellen, der nach nassen, aber aufgewärmten Mänteln riecht. Da müssen sie die kleinen Kinder feindselig anstarren. Das heizt den Konsum an, findet die Bundesregierung. Wenn das nicht reicht, werden Bonbons verteilt. Dankbar blicken die Kinder in die von jahrelangen Niederlagen zernichteten Gesichter und wispern: »Au Scheiße, hoffentlich läuft‘s bei mir besser.«
Die Eltern finden das gut. »Schau ihn dir genau an, den sauberen Herrn Weihnachtsmann«, sagen sie, weil sie dringend Zukunftstängste in ihren Kleinen säen müssen, damit die sich auch ordentlich anstrengen mit der Rente, die sie selber nicht geschafft haben wegen der Selbstverwirklichung von früher.
Die Kinder können dann bis Weihnachten nicht schlafen, sie können den resignierten Blick und die rotgeäderte Saufnase vom Weihnachtsmann nicht vergessen. Jeden Morgen laufen sie zum Spiegel und schauen nach, ob es bei ihnen auch schon so weit ist, wegen der zwei Vieren in Reli und Bio.
Wenn sie Glück haben, fallen die Kinder in der Pubertät den Drogen anheim, die lassen sie den Weihnachtsmann endlich vergessen. Dann studieren sie dreiundzwanzig Semester Kunstgeschichte, scheißen auf die Rente oder machen gar nichts.
Aber nicht jeder verträgt Drogen, einige kriegen Allergie und anderen wird schwindelig. Manche sterben auch.
Kinder, die keine Drogen vertragen, müssen Berufe lernen. Dann sind sie viel wert und werden auf dem Markt verkauft. Die Eltern bekommen von der Bundesregierung Gold, Weihrauch und Rente für das Kind und lassen es sich richtig gut gehen. Das Kind aber muss schuften. Alle anderen, die wegen der Drogen keinen Beruf lernen konnten, müssen Weihnachtsmann werden und selber Kinder wegen der Rente ängstigen. Das nennt man den Wirtschaftskreislauf.
Christian Bartel
Christian Bartel, *1975, Restaurantkritiker und Redakteur, betreut die Internetpostille »Hanebuechlein«. Liest bei der Lesebühne »Der Kleingeist« in Bonn und moderiert den Poetry Slam in Köln.