Hinark Husen: Germanistik in der Geisterbahn

So schnell bekommt mich kein Mensch mehr sonntagmorgens um fünf in die U-Bahn-Linie 7 Richtung Rudow. Zusammen mit meinen Kollegen aus der Kita sollte ich jungen bayerischen Christen das Frühstück im Gemeindesaal servieren. Eigentlich hatte ich vorgehabt, gleich in Neukölln zu übernachten, aber ein kurzes frühabendliches Nickerchen hinderte mich daran. Um halb zwei in der Nacht braucht man wirklich nicht mehr das Schlafzimmer zu wechseln. So vertrödelte ich die Zeit zuhause und freute mich auf die verschlafenen Gesichter der anderen Küchenhelfer.

Wäre ich noch müde gewesen, hätte ich die Fahrt zur Karl-Marx-Straße einfach verpennen können. Aber ich war hellwach und also gab es kein Entrinnen. In meinem Abteil saßen vier Balkan-Grufties. Klingt vielleicht blöd, aber wie sollte ich diese Truppe sonst beschreiben. Alle in schwarz gekleidet mit zum Teil ebensolch gefärbten Haaren, unterhielt sich das Quartett in einem Kauderwelsch aus Deutsch und Serbokroatisch. Unterhalten ist vielleicht auch der falsche Ausdruck, immerhin bekam ich mit, dass eines der zwei Mädchen den gegenüber sitzenden Bekannten immer mal wieder als Mutterficker und Schwanzlutscher bezeichnete, woraufhin dieser sich bemüßigt fühlte, ihr mitzuteilen, dass: »…du dumme Nutte froh sein kannst, dass Allah dich als Frau zur Welt gebracht hat.« Komischerweise hatte er Selbiges aber nach einigen Minuten schon wieder vergessen und musste von seinem Kumpel davon abgehalten werden, handgreiflich zu werden.

Also ich sag mal so, jeder Schausteller hätte ausgesorgt, wäre er im Besitz einer solchen Horrorbahn. Wären Kameras im Abteil gewesen, hätte ich das ganze ja für Dreharbeiten für ne deutsche Variante des amerikanischen Teenie-Schwachsinns »Buffy – im Bann der Dämonen« gehalten – für die älteren Fernsehzuschauer als Erklärung: So eine Art Addams-Familie mit nichtbeabsichtigter Komik.

Diese vier Freunde mussten wirklich einen verdammt miesen Abend hinter sich gebracht haben. Gestern hatte ich noch über eine paar klampfende Jungchristen in der Bahn gespottet, was hätte ich drum gegeben, wenn die heute morgen auch da gewesen wären. Stattdessen mischte sich nun ein Neuköllner Dosenbiertrinker mittleren Alters ein. Allah würden die Ohren rot werden, wenn er dieses Geschrei hörte. Na, das war ja mal ne Bemerkung. Der Mann schien eindeutig suizidgefährdet zu sein.

Wie nicht anders zu erwarten, kanalisierte sich die Schimpfkanonade nun auf ihn. Es waren wieder die bereits intern benutzten Pfui-Wörter, nur dass der Minuten vorher von der Frau Beleidigte jetzt häufiger mal »schwuler Schwanzlutscher« sagte.

Also wirklich, da musste ich mich dann doch auch mal einmischen: »Junger Mann«, sagte ich, »da haben Sie jetzt aber einen Pleonasmus fabriziert. Verstehen Sie, das ist so was wie weißer Schimmel oder islamischer Muslim. Hätten Sie schwule Schwanzlutscherin gesagt, das wäre auf keinen Fall ein Pleonasmus oder eine Tautologie, wie man auch sagen kann, aber in der Bedeutungsebene dann doch eher, sagen wir mal, zweifelhaft? Abgesehen davon, dass es sich bei dem zu Beleidigenden um einen Mann handelt, gäbe es ja allenfalls heterosexuelle Schwanzlutscherinnen, von mir aus auch lesbische, das wäre dann allerdings ein Oxymoron. Die Verbindung zweier sich eigentlich ausschließender Begriffe. Wird gerne mal als Stilmittel benutzt, allerdings weniger in der sprachlichen Form der Beschimpfung. Origineller wäre es, hätten Sie statt des sexuell konnotierten Adjektives eines gewählt, das vielleicht mehr auf die Herkunft zielt. Wie wäre es also mit »schwäbischer Schwanzlutscher«? Das ist dann zusätzlich noch eine Alliteration. Ist doch nett, wie gefällt Ihnen das?«

Urplötzlich tauchte ein Bahnhof auf und ich musste die verdutzten Streithähne stracks verlassen, schließlich sollte ich ja noch bayerischen Christen das Frühstück servieren und zwar, ohne dass Blut aus meiner aufgeschlagenen Nase in die Müslischüsseln tropft.