Hans Duschke: Mein neuer Arbeitsplatz

Für Zweifünfzig gibt es hier, an der Grenze von Lichtenrade und Mariendorf, ein deftiges Frühstück und einen Pott Kaffee für die arbeitende Bevölkerung. Zwei Brötchen, Wurst, Käse, Honig, durchgedrehtes rohes Fleisch mit Zwiebeln. Mit mir am Tisch sitzen fünf junge Männer und zwei Frauen. Die Hemden und Krawatten sind aus billigster Kunstfaser, schlechte Verkleidung an diesen Schulversagern, deren authentischster Ausdruck die hormoninduzierten Pickel sind, die in unterschiedlichen Reifegraden den Betrachter anstrahlen.

Die Unterhaltung dreht sich um unterschiedliche Härtegrade der Brustwarzen der am Tisch sitzenden Damen zu verschiedenen Anlässen (genauer möcht ich nicht werden), es wird viel gelacht. Anderes Thema ist die gemeinsame Berufstätigkeit. Wer hat wie viel »geschrieben« (Schriftsteller sind es nicht!), wer der abwesenden Kollegen ist eine Lusche und wird rund gemacht.

Meine Trainerin studiert den Stadtplan, eine Ausschnittkopie aus dem Falkplan, auf dem mit Textmarker ein Bereich für sie reserviert ist. Wir fahren los. Ziel ist eine kleinbürgerliche Wohngegend am südlichen Berliner Stadtrand. Alles grün. Sie parkt den Wagen, prüft, ob ihre Unterlagen komplett sind – wir gehen los. Die erste Klingel. Keiner da. Die zweite Klingel. Es ist 9 Uhr 30.

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Das alles mit dem neuen Job begann vor einer Woche mit einer Anzeige in der Berliner Morgenpost: »36 neue Mitarbeiter gesucht«. Meine Frau drängte mich anzurufen, ich wurde sofort zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Ein heruntergekommenes Gewerbegebiet am südlichen Berliner Stadtrand. Ein Aufzug aus den früher 60er–Jahren mit handschriftlicher Ermahnung, man solle nicht hüpfen, bringt mich in den fünften Stock. Zettel mit Pfeilen weisen den Weg. Hier residiert die Firma Premier Paz. Alles ist darauf eingerichtet, im Bedarfsfall binnen 24 Stunden die Zelte abbrechen zu können. Ich bekomme ein Formular und werde in den Warteraum gebeten. Dort sitzen bereits vier traurige Gestalten. Hoffentlich seh ich nicht auch so aus. Klappstühle mit schwarzem Kunstlederbezug. Was möchte ich erreichen, wie viel möchte ich verdienen, wie würde ich auf einer Skala meine Einstzbereitschaft einschätzen? Schwanke zwischen hoch und sehr hoch, entscheide mich für letzteres.

Dann ist die Reihe an mir, der Assistent des Geschäftsführers bittet mich zum Chef hinein. Der Chef, sonnengebräunt, sehr gepflegt, von unbestimmtem Alter, jedoch jünger als ich, drückt mir die Hand. Ich drücke zurück. Wir kommunizieren hin und her, ich bin nicht so wortkarg wie sonst, das hatte ich mir vorgenommen. Er erklärt, dass seine Firma Filialleiter sucht. – Das hört sich gut an. – Ob ich einen Probetag mitmachen will? – Ja, gern. – Wir rufen Sie an, diese oder nächste Woche. – Super. Vielen Dank.

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Da ist er also, der Probetag, und wir gehen von Tür zu Tür.

»Guten Tag, mein Name ist Manuela Schnipke, das ist mein Assistent Herr Duschke, wir führen in der Gegend die Tarifsenkung für alle Kunden der Telekom durch – und da muss ich prüfen, ob Sie für die Tarifsenkung in Frage kommen. Sie sind doch Kunde der Telekom?« – »Mmh, ja« – »Na wunderbar... und wollen es hoffentlich auch bleiben?!« Frau Schnipke lacht ein wenig über ihren kleinen Witz. »Da muss ich zunächst einmal einen Blick auf Ihre Telefonrechnung werfen, um zu sehen, ob Sie für unsere Tarifsenkung in Frage kommen. Holen Sie die doch mal bitte, wir warten hier so lange.«

Schon erstaunlich, wie viele Leute einfach tun, was man Ihnen sagt. Eine Rechnung über mindestens 30 Euro, sonst lohnt sich das nicht; und auf der Rechnung steht gleich die Kontonummer drauf, die man dann nicht mehr abfragen muss. Wenn alles glatt geht, hat man in knapp zehn Minuten zwei Unterschriften – eine unter dem Vertrag, eine unter der Einzugsermächtigung.

Illustration: Oliver Grajewski

Nach 20 Einfamilienhäusern der erste Vertrag. Sieben müssen es werden, sonst ist man eine Lusche und wird rund gemacht. Wer zehn schafft ist ein Held, der darf die große Glocke läuten; wer an zwei Tagen hintereinander acht schafft, wird zum Trainer befördert und kann an den Abschlüssen seiner Schützlinge mitverdienen.

Apropos: Wie viel gibtʼs denn?, frag ich, obwohl mich das nicht wirklich interessiert – ich hab Frau und Kinder: Für mich bleibt so oder so nur ein Taschengeld. Meine Trainerin (sie ist schon drei Monate im Job) zeigt mir freudig erregt ihre Gehaltsabrechnung: Im nächsten Monat wird da (sie zeigt darauf) eine Drei stehen. Für jeden, den man schreibt, gibt es 27 Euro.

Nach 8 Stunden haben wir sechs geschrieben. Es wird zäh. Wer sechs schreibt, schreibt auch sieben, heißt eines der Firmenmottos – einen müssen wir noch. Die Füße schmerzen. Kein freundlicher Blick den ganzen Tag. Immerhin sind wir in einer besseren Gegend, wurden kaum beschimpft oder beleidigt. »Hier warʼn noch nicht viele«, weiß meine Trainerin, Frau Schnipke, die heute ihrem Namen keine Ehre machen konnte. Einen müssen wir noch.

Schließlich gelingt auch das. Ein junger, übernächtigter Mann ist bereit, alles zu unterschreiben, damit er endlich seine Ruhe hat. Strike!

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Zurück zur Zentrale. Sie läutet die kleine Glocke, ich werde gebeten, im Warteraum einen Fragebogen auszufüllen. Die Trainerin schreibt eine Beurteilung über mich.

Endlich: Der Chef ruft mich zu sich. Jetzt entscheidet es sich. »Sie sind ja ein lustiger Typ«, sagt er, mit Blick auf den Fragebogen. Ich nicke. Dann will er wissen, warum er mich in seiner Firma einstellen soll. Ich erzähl ihm den üblichen Scheiß von wegen »arbeiten wollen«, »Karriere machen«, »wie toll das Betriebsklima ist«, »interessante Tätigkeit«, »viele Menschen kennen lernen«, usw. Er zögert, mustert mich, ich mach so gut ich kann einen eifrigen Eindruck.

»Mmh«, er will es mit mir versuchen… 470 Euro für 40 Stunden, 20 Urlaubstage, es wird über Tarif bezahlt – morgen um 7 Uhr 50 soll ich anfangen.

Wieso ich mich nicht so richtig freue, will er wissen. – »Ich kann das nicht so rauslassen«, behaupte ich, und müsse das erst verarbeiten. – »Na gut, wir sehen uns dann morgen«, ein fester Händedruck, ich habe einen Job.